St. Gallen, 29.10.2024
Circa 18 000 Schweizerinnen und Schweizer leben aktuell mit der Diagnose Multiple Sklerose (MS), einer neurologischen Erkrankung des zentralen Nervensystems mit unterschiedlichen Verlaufsformen und einer grossen Bandbreite an Symptomen. Viele von ihnen waren deswegen bereits im Rehazentrum Valens, das seit über drei Jahrzehnten unter anderem auf die Rehabilitation von Menschen mit MS spzialisiert ist und zwar stationär sowie ambulant in Kombination mit Programmen für zu Hause. Denn gerade bei MS ist es wichtig, aktiv zu bleiben – auch nach einem Reha-Aufenthalt.
Insbesondere die Fatigue, ein schwerer chronischer Erschöpfungszustand, beeinträchtigt die Lebensqualität von Menschen mit MS. Bei der Behandlung dieses komplexen und multidimensionalen Symptoms kommen im Rehazentrum Valens neben Medikamenten bewegungstherapeutische Massnahmen und das Energiemanagement zur Anwendung. Es hat sich gezeigt: Sowohl ein klassisches Ausdauertraining als auch High-Intensity Interval Training (HIIT) können die Fatigue lindern, indem die kardiopulmonale Fitness verbessert wird. Gleichzeitig aber gehört die zur Verfügung stehende Energie mit Blick auf die persönliche Lebenssituation optimal genutzt. Daher klären Ergotherapeuten mit den Betroffenen innerhalb von sechs Sitzungen grundlegende Fragen und Themen (z.B. Wie sieht eine normale Woche von mir aus? Wo lasse ich meine Energien?) ab. Im Zuge eines solchen strukturierten Schulungsprogramms können bereits während der Reha erste Erfahrung gesammelt werden, sodass die Energiesparstrategie im Alltag umgesetzt wird. Schulungskonzept, evidenzbasiertes Behandlungsprotokoll und Arbeitsbuch sind das Ergebnis des Forschungsprojekts «Energiemanagement-Schulung (EMS) für Menschen mit Fatigue» (2017-2021), das in Kooperation mit der Fachhochschule Südschweiz (SUPSI) durchgeführt wurde.
Intensive Belastungsreize werden von Menschen mit MS nicht nur gut vertragen, sondern sind hinsichtlich der körperlichen Funktionsfähigkeit, kognitiven Leistungsfähigkeit oder Ängstlichkeit effizient, wie mehrere Studien die im Rehazentrum Valens durchgeführt wurden (2018-2024) gezeigt haben. Eine im Rehazentrum Valens absolvierte Interventionsstudie (2020 –2021) ergab, dass die Kombination aus Energiemanagement und HIIT die Selbstwirksamkeit der Betroffenen im Hinblick auf die Weiterführung des Energiemanagements (sechs Monate nach Austritt) erhöhen kann. Bei MS-Patienten, die eine Kombination aus Entspannung und moderatem Ausdauertraining absolvierten, war dies nicht signifikant.
«Bliib dra»
Die positiven Effekte einer Reha können bei MS bis zu neun Monate oder länger anhalten. Ein Grund, warum viele Betroffene jährlich einen Aufenthalt in einer Rehaklinik planen. Dennoch gilt es, auch zu Hause aktiv zu bleiben. Neben der bereits erwähnten Energiemanagement-Schulung wird im Rehazentrum Valens für jede Patientin und jeden Patienten gleich zu Beginn des Aufenthalts ein massgeschneidertes Heimtherapie-Programm erstellt. Dieses können sie dann als Handout oder über die App «Valens bewegt» nutzen. Zudem setzt man in Valens auf das Programm «Bliib dra», das die Betroffenen dabei unterstützt, passende körperliche Aktivitäten oder Sportarten zu entdecken und Bewegung regelmässig ins tägliche Leben zu integrieren.
Dass es Menschen mit MS aufgrund von Fatigue, Gangstörungen, Depressionen und anderen Beschwerden mitunter schwerfällt, sich regelmässig körperlich zu betätigen, ist nachvollziehbar. Allerdings zeigte die Studie «Barrieren für körperliche Aktivität bei MS» – ein interdisziplinäres Projekt des Rehazentrums Valens und zweier Forschungsgruppen der Universität Zürich: Sogar kommerzielle Fitnesstracker können die Motivation erhöhen und die Selbstreflexion verbessern – vorausgesetzt die Betroffenen werden in der Handhabung der elektronischen Hilfsmittel sowie im Umgang mit den Daten bzw. der Datenfülle geschult und begleitet.
Wichtige Ergänzung in der Langzeitbetreuung
An dieser Stelle muss allerdings gesagt werden: Trotz qualitativ hochstehender Rehabilitation, wirksamer Medikamente und stetiger Forschung kann es bei MS auch vorkommen, dass ein selbstständiges Leben in den eigenen vier Wänden nicht mehr möglich ist. Ein kleiner Teil der Patientinnen und Patienten benötigt dauerhafte Betreuung, was im Alltag bzw. für die Angehörigen nicht immer zu bewältigen ist. Für solche Menschen ist das Angebot von Viv von grossem Vorteil. Einerseits, weil sie dort auch mit jüngeren bzw. gleichaltrigen Menschen zusammenleben können – immerhin zeigen sich bei 80 Prozent der MS-Betroffenen erste Symptome im Alter zwischen 20 bis 40 Jahren. Andererseits, weil es für die Patientinnen und Patienten wichtig ist, dass die Behandlungen weitergeführt werden. Nachgelagerte Versorgungsangebote wie jene von Viv sind daher eine wichtige Ergänzung in der Langzeitbetreuung von Menschen mit MS, da sie eine hohe Dichte und gute Qualität der Therapien und eine individuelle Betreuung für neurologische Einschränkungen gewährleisten.
Klinische Forschung: Patienten im Mittelpunkt
Die genannten Beispiele sind nur ein kleiner Auszug der Forschungstätigkeiten des Rehazentrums Valens. Sie verdeutlichen dennoch, wie wichtig es ist, den klinischen, anwendungsorientierten und patientennahen Ansatz fortzusetzen und somit die Betroffenen in den Mittelpunkt zu stellen. Neben bewährten, wissenschaftlich begründeten Konzepten sowie zielorientierter und individuell zugeschnittener Therapien, gilt es daher, kontinuierlich innovative Therapieformen zu erkunden, diese fortwährend in interdisziplinären Teams weiterzuentwickeln und einen evidenzbasierten Forschungs- und Behandlungsansatz zu verfolgen. Wenn nämlich Ergebnisse direkt in die Behandlungen einfliessen können, profitieren schlussendlich die Patienten.
Autoren
Dr. med. Dr. sc. nat. Roman Gonzenbach
Ärztlicher Direktor für Neurologie und Frührehabilitation der Gruppe Kliniken Valens
Dr. Sportwiss. Jens Bansi (PhD)
Leiter Forschung & Entwicklung im Rehazentrum Valens
Mehr zu Kliniken Valens finden Sie hier: www.rehazentrum-valens.ch und www.kliniken-valens.ch.